06 Februar 2008

NZZ Lektüre

An einem gemütlichen Vormittag sass ich im Café ums Eck, in dem Gäste Status-unabhängig geduzt werden. Der Leseverlauf der an meinen Sitzplatz geholten Neuen Zürcher Zeitung überzeugte aufs Neue. Es ist gut, bei einem Kaffee und einem längeren Beitrag aus dem internationalen Teil hängenzubleiben.
Der Schweiz-Teil ist meist von hoher Politik und Verwaltung durchzogen. Die NZZ ist dann soweit vom Alltag entfernt, wie andere Zeitungen sich diesem mit ihrem Service-Charakter andienen.
Das Wirtschaftressort zeigte den omnipräsenten Sarkozy mit dem omniangetriebenen AGV. Wie er hinter dem Alstom-beschrifteten Redepult steht, tauchte vor meinem inneren Auge der österreichische Bundeskanzler mit seiner "Kronenzeitung"-Jacke auf.
Mein Kaffee war schon längst ausgetrunken und die Tasse abgeräumt, als ich mich an den Zürich-Teil machte. Die sporadischen Alltagskolumnen haben meist einen ambivalenten Lesegenuss zur Folge. Die Redaktoren überspannen zu Teilen ihren Assoziationsspagat oder nerven mit einer dummen bildungsbürgerlichen Schlusspointe in Latein. Ich überwand mich und fand mich sofort in derselben Lage wie der Kolumnist wieder. "Es war in einem dieser Lokale, in denen man so lange sitzen darf, wie man will...[zum Weiterlesen]"
Mit Schmunzeln und Befriedigung erhob ich mich, und alsbald wurde der von mir freigegebene Platz von einem Typen mit Krawatte für die Mittagspause besetzt.

31 Januar 2008

Wer wandert aus?

Schon seit längerem und seit dem Ende meines Estlandaufenthaltes auch intensiver befasse ich mich mit den Arbeitswanderungen aus dem ehemaligen kommunistischen Ostblock Richtung Westen. Mit der ausgedehnten Personenfreizügigkeit, wobei einige Länder hier besonders liberal handeln (Grossbritannien, Irland, Schweden), hat sich die Gesetzeslage für potentielle Migranten erheblich verbessert. Die Folge ist ein quantitativ spürbarer Anstieg bei wirtschaftlich bedingten Emigrationen, zuallererst aus Polen.
Mutmasslich gibt es auch qualitative Unterschiede zu kürzlich stattgefundenen Wanderungen. Die bulgarische Zeitung Kapital sieht einen Wandel darin, welche Personen neuerdings gegen Westen ziehen:

Unmittelbar nach der Wende hat die wirtschaftliche Lage viele Bulgaren in die Emigration getrieben, heute habe die Auswanderung eine andere Qualität, meint Jowko Lambrew. "Wenn man sich innerhalb einer Woche von zwei der besten Freunde trennen muss, weil sie das Land für immer verlassen, kann man nicht gleichgültig bleiben... Bei der ersten Welle der Emigration haben die Menschen das Land aufgrund des ökonomischen Drucks oder aus Abenteuerlust verlassen. Die neue Welle verspricht schmerzhafter zu sein: Jetzt gehen die Menschen, die bislang geblieben sind, um das Leben hier zu verändern. Sie haben Glauben, Hoffnung und einen starken Willen. Es sind nicht die Gehorsamen und Folgsamen, sondern die Träumer und Kreativen, die begriffen haben, dass sie hier nicht gebraucht werden."

(Quelle: eurotopics.net, Ausgabe 30.1.2008)