08 September 2007

Recycling

Es gibt einige Sachen, die fallen einen nach einer Woche auf und ein, wenn man sich angeschickt hat, in einem fremden Land zu leben. Dazu gehört sicher das Abwallwesen und die Wiederverwertung. Nach etwa einer Woche haben sich genügend Hausabfälle angesammelt, dass man die gerne leeren würde. Zudem gilt es Behältnisse unserer Industriekultur zurückzugeben, die irgendwer mal irgendwann mal als rückführbar definiert hat.
Ob meine lieben ausländischen Mitbewohner in Zürichs WG oder ich selbst in Budapest oder jetzt in Tallinn, Informationen darüber, was ein Zürisack ist oder wieviel Pfand eine estnische PET-Flasche hat, tröpfeln langsam auf einen ein oder sickern derart zu einem durch.
Wo ich mich sonst schwer tue, verschiedene Systeme miteinander zu vergleichen und vor allem dann mit Werten zu belegen, das schaffe ich dann beim Abfallwesen. Ich werde zum Chefempiriker des Fortschmeissens und zum Comparative Advisor of Waste Products.
Es ist doch erstaunlich, wie sehr in der Schweiz dass Abfall- und Recyclingwesen wie von der Zauberhand funktioniert. Wir alle sind fleissig, nehmen uns in die Pflicht und erinnern uns an Sammeltage (vielleicht auch erst an den übernachsten, aber immerhin). Es braucht nicht mal eine monetäre Vorbelastung auf Flaschen und Büchsen, wir bringen sie allesamt zurück.
Das Schweizer System der freiwilligen Selbstorganisation wollten die lokalen Autoritäten auch in Budapest durchbringen. Doch die Sammelstellen für Glas, Karton, PET und Büchsen blieben meist leer. Warum sollte man sich auf den Weg zu einer komischen öffentlichen Wegwerfaktion machen, wenn zuhause der kostenlose Abfallsack genügend Volumen hat? Wieder einmal ein Beispiel einer versuchten und missglückten Übersetzung eines Instruments von einer Kultur in die andere.
Die ungarischen Behörden hätten nach Estland schauen sollen. Dort wird auf dem Hintergrund des Rational-Choice-Gedankens eine für alle Seiten zufriedenstellende Recycling-Situation geschaffen. Hier sind die Flaschen und Büchsen, ebenso jene aus PET, mit einem geringen Pfand von 5 Rappen versehen. Das heisst zwar, dass alle die Behälter in den nächsten Mülleimer werfen. Wo sie aber, weil der Müllmann nicht täglich kommt, von Obdachlosen aufgespürt und zur zentralen Rückgabestelle gebracht werden. Ihnen ist ein kleiner Zustupf sicher und die erwerbstätigen Leute müssen sich nicht an eine aufgezwungene kulturelle Änderung ihres Wegwerfverhaltens gewöhnen.
Nur warum soll man es den Bedürftigen schwer machen und sie nicht auch des entwürdigenden Durchwühlens befreien? Sobald ich jemanden in der Nähe meiner Wohnung erblicke, der Container durchwühlt, hole ich meine paar Leergüter aus der Wohnung und übergebe sie direkt meiner Entsorgungspartnerin. Der wahrscheinlich einfachste und umkomplizierteste Weg im Gesamten für alle. Sprich für Rational-Choice-Theoretiker: Ein stabiles Nash-Gleichgewicht.

Ich bin neugierig auf Leser-Kommentare zu diesem Gegenstand. Bitte Senf dazugeben.

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