25 November 2007

Estländer bloggen

Einer der wichtigsten Ingredienzen für ein gelingendes Verfassen von Texten besteht aus der Recherche, und dort ist die Qualität der Quellen entscheidend. Eine Sorte von Quellen verweist auf gute Studien, eine andere auf Meinungsartikel und dann gibt es einfach die für sich anregenden Blogs. Seit ich ab dem Frühjahr Estland wieder verstärkt verfolge, komme ich immer wieder an zwei lokalen, englischsprachigen Webinformanten vorbei.

Itching for Eestimaa (Autor: Giustino)
Lebhaftes Verfolgen diverser Events im kulturellen, geschichtlichen und politischen Bereich. Die Artikel brauchen gelegentlich Wissen lokaler Begriffe und Gegebenheiten. Giustino setzt den Akzent unter anderem auf Fragen der Identität der Esten und der Russischsprechenden sowie von Estland als Staat. Legendäre Follow-up Diskussionen an diese Posts.
Engagiert, pointiert und ausdrucksstark (sattelfest in Ironie).

Beispiel: Aus dem Post zur Reaktion der westlichen Staaten zu einem möglichen Unabhängigwerden des Kosovo
Other European countries like Sweden are miffed at the idea of another Balkan country emerging that will vote for their neighbors in the Eurovision Song Contest, meaning that the contest will be held somewhere between Athens and Vienna for the rest of its existence.

Mehr unter dieser Adresse.

Ein beliebter Diskussionspartner auf Giustinos Blog ist Flasher T, der einen ähnlich relevanten Blog zu Estland führt:
Antyx
Kenner von wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen. Vertritt pointierte Meinungen zu Estlands Politik, auch in der Thematik mit den Russischsprachigen. Trotzdem immer differenziert. Flasher T's Spezialität: Alle Posts, die mit der Frage "Are you scared yet?" enden, belegen die wackeligen demokratischen Verhältnisse in Russland.
Zur bevorstehenden Parlamentswahl in Russland ergibt das eine nachdenkliche Stimmung.
Bemerkenswert dazu dieser Post.

21 November 2007

NZZ Artikel "Pragmatischere Integrationspolitik in Estland"

In eigener Sache: die Neue Zürcher Zeitung hat heute auf Seite 7 meinen Artikel zur Integration der russischsprachigen Esten abgedruckt.
Leider habe ich noch keinen stabilen Link bekommen, es scheint mir sowieso, dass er nicht via NZZ Online erreichbar ist.
Für Nicht-Abonnenten der NZZ und ausserhalb der Schweiz Sesshafte kann ich auch den pdf-Artikel schicken. Einfach bei mir melden.

17 November 2007

Der höchste Fernsehturm Nordeuropas geht in Pension



Mami, was hat denn der Baum für ein komisches Nest drauf?



Auf 170 Meter Höhe (der ganze Turm misst 314 Meter) fällt vor allem die stadtplanerischen Fantasien der Sowjets auf. Die Plattenbausiedlung Lasnamäe wurde in den 1970er Jahren gebaut und ist heute Zuhause von 160'000 vorwiegend russischsprachigen Einwohnern.

Während in der Siedlungsbebauung geklotzt wurde, entstanden neue architektonische Details vorwiegend ums Jahr 1980, als Tallinn den Segelwettbewerb der Moskauer Olympischen Spiele austrug. Neben dem Olümpia Hotel, dem Veranstaltungszentrum Linnahall und dem Yachthafen in Pirita, gehört dazu eben auch der Fernsehturm.



Am 26. November wird im Turm aus Sicherheitsgründen die Besucherplatform und das Restaurant geschlossen. Gelegenheit für den Last Supper.



und ich hab nachgezählt, es sind zwölf!



Die Speisekarte ist grafisch nicht ganz ohne. Der Stil wurde bei den Postkarten und den Feuerzeugen dann aber nicht weiter angewendet.



Ein wichtiger Grund warum die Esten den Turm nicht mögen, ist dessen Standortgeschichte. An den Tagen des Augustputsches gegen Gorbatschow (19.-21.8.1991) war er besetzt.
Im Gegensatz zu den Ereignissen um den Vilniuser Fernsehtrum gab es hier keine Todesopfer.



Was sind eigentlich 16 Jahre?



Tschüssi Teletorn. Bald nur noch für die Telekommunikation nützlich.

16 November 2007

Schweizer Grafik ...existiert sie?



Man geht ins Ausland, um ... das Herkunftsland besser kennenzulernen. Das geschieht aber völlig unbeabsichtigt. Am Dienstag nach längerer Auszeit (Riga, Artikelversand, Vilnius, Erkältung) will ich mein Konzept für die nächsten Wochen planen. Im Schweizer Lesesaal der Nationalbibliothek, wo ich mich häufig aufhalte, sind drei junge Typen und versuchen scheinbar gezielt, etwas über die Schweiz herauszufinden. Jedenfalls fragen sie nach der Kontaktadresse der schweiz-baltischen Handelskammer. Ich werde hellhörig und frage kurz nach. Bald sitze ich mit den dreien im Café der Bibliothek und beantworte fleissig Fragen. Ihre Aufgabe besteht darin, das Bild der Schweiz in Estland darzustellen. Ein Zufall vielleicht, hat mich doch im Post vom 31.10. genau die gleiche Absicht geleitet?
Nicht ganz, ihre Aufgabe bekamen sie von den beiden Schweizer Grafikern, die abends die Schweizer Designwochen (siehe obiges Plakat) mit einem Vortrag beschliesen. Ich habe alle bisherigen öffentlichen Veranstaltungen besucht und viel über ein mir wenig bekanntes Schaffen gelernt. Z.B. auch dass die Grafiker entweder nur für die Werbung oder nur für Kulturprojekte arbeiten.
Da mir die drei jungen estnischen Grafikstudenten erklären, ihre Arbeit solle in der Schweiz um die Weihnachtszeit ausgestellt werden, sie mir jedoch keine genaueren Angaben machen können, frage ich die beiden Vortragenden am Abend. Lex und Urs sind Grafiker in Zürich und nutzen ihren wöchigen Aufenthalt in Tallinn, einen Workshop an der Kunstakademie zu leiten. Die Aufgabe, die sie den Studierenden stellen, ist anspruchsvoll und bringt viel Recherchierarbeit mit sich. Die Schweiz ist kaum sichtbar und eine Botschaft als erste Anlaufstelle exisitiert nicht in Estland. Dafür eben das Schweizer Lesezimmer.